Deutscher Gewerkschaftsbund

PM - 05.09.2011

Generation Krise: Politik kapituliert vor den Großbanken

Von Michael Sommer

Henry Ford, Jahrgang 1863, war ein Kapitalist von altem Schrot und Korn, ein Industriekapitän der ersten Stunde. Seine Welt waren Maschinen, Motoren und Metall, seine Fabriken produzierten Waren, die der Kunde mitnehmen und benutzen konnte. Die Welt der Banken war ihm schon damals suspekt, als es noch keine Leerverkäufe und Derivate gab: „Es ist gut, dass die Menschen des Landes unser Banken- und Geldsystem nicht verstehen, denn sonst, so glaube ich, hätten wir noch vor morgen früh eine Revolution“, stellte er lakonisch fest.

Verglichen mit heute war die Bankenwelt damals noch überschaubar. Allein die enorme Geschwindigkeit, mit der heute Milliardensummen per Mauskick in Sekundenbruchteilen über den Globus gejagt werden, war unvorstellbar. Gleiches gilt für einige so genannte Finanzprodukte, die so kompliziert sind, dass selbst die Banken kaum begreifen, womit sie da eigentlich handeln.

Und dennoch: Im dritten Jahr der schweren globalen Finanzkrise verstehen die Menschen mehr von der Finanzwelt als je zuvor. Sie verstehen, dass die Finanzströme in dreistelliger Billionenhöhe nichts mehr zu tun haben mit der Welt der Waren und Dienstleistungen, die wir Realwirtschaft nennen. Sie wissen, dass durch die Zockerei gieriger Spekulanten ganze Volkswirtschaften in den Abgrund gestürzt werden. Sie begreifen, dass die Finanzjongleure so genannte Innovationen entwickelt haben, die niemandem nutzen außer ihnen selbst. Den Menschen dämmert, dass ohne eine scharfe Regulierung der Finanzmärkte die Krise zum Dauerzustand wird und sie erwarten, dass die Politik diesem Irrsinn endlich ein Ende bereitet.

"Mit den Einnahmen ließen sich wenigstens teilweise die Schäden reparieren, die die Banken angerichtet haben. Aber auch im Jahr drei der Krise sind wir einer moderaten Besteuerung von Finanzgeschäften keinen Schritt näher gekommen."

Es ist wertvolle Zeit vergeudet worden. Nach dem Zusammenbruch von Lehmann Brothers im September 2008 öffnete sich ein Zeitfenster des Handelns, um die Finanzmärkte unter Kontrolle zu bringen. Genutzt wurde es nicht. Trotz wohlfeiler Beschlüsse und Absichtserklärungen in Washington, London und Pittsburgh konnten die führenden Wirtschaftsmächte sich nicht zu tiefgreifenden Reformen durchringen.

Beispiel Leerverkäufe: Auch im Jahr drei der globalen Finanzkrise hat niemand plausibel erklären können, wozu Leerverkäufe eigentlich gut sein sollen. Man verkauft etwas für teures Geld, das man gar nicht hat, in der Erwartung, es billig besorgen zu können, wenn die Lieferung fällig wird. Leerverkäufe sind Wetten auf fallende Kurse, sonst nichts. Aber als die Bundesregierung – wenn auch halbherzig – die Konsequenz zog, Leerverkäufe zu verbieten, wurde sie international verlacht und geprügelt. Staaten wie Frankreich, Italien und Spanien mussten erst selbst ins Visier der Spekulanten geraten, um sich zu einem Verbot der Leerverkäufe durchzuringen. Ein allgemeines, weltweites Verbot dieser nutzlosen Zockerei gibt es immer noch nicht.

Beispiel Rating-Agenturen: Sie heben und senken den Daumen über ganze Volkswirtschaften. Selbst mächtige Staatenlenker zittern, wenn die Analysten von Moody’s und Co. ihr Urteil fällen. Staaten werden auf Ramschstatus abgewertet, selbst die USA hat ihre Bestnote verloren. Dabei besitzt die ungeheuerliche Macht der Rating-Agenturen keinerlei Legitimation. Sie haben Schrottpapiere veredelt und mit Bestnoten geadelt. Ihre Verantwortung für die Finanzkrise ist unbestritten, der dringende Handlungsbedarf, ihre Macht zu begrenzen, ebenso. Aber immer noch starrt die Welt wie ein Kaninchen auf die Schlange, wenn die Rating-Agenturen ihre Kopfnoten verteilen und den Daumen senken.

Beispiel Finanztransaktionssteuer: Wer im Imbiss eine Currywurst mit Pommes kauft, zahlt sieben Prozent Mehrwertsteuer, wer sich zum Essen hinsetzt, sogar 19 Prozent, also fast ein Fünftel des Kaufpreises. Den Finanzjongleuren ist egal, ob sie bei ihren Milliardengeschäften sitzen oder stehen – sie zahlen gar nichts. Mit einer Finanztransaktionssteuer könnte man ein wenig Sand in das Getriebe der Finanzmärkte kippen und die gigantischen Geldströme verlangsamen. Mit den Einnahmen ließen sich wenigstens teilweise die Schäden reparieren, die die Banken angerichtet haben. Aber selbst eine Finanztransaktionssteuer im Promillesatzbereich empfinden Investmentbanken und Hedgefonds schon als Zumutung und allen politischen Willensbekundungen zum Trotz sind wir auch im Jahr drei der Krise einer moderaten Besteuerung von Finanzgeschäften keinen Schritt näher gekommen.

"Wir müssen die Finanzmärkte energisch an die Kandare nehmen, sonst treiben sie uns auch in Zukunft von einer Krise in die nächste. Auf jeden gelöschten Brandherd folgte der nächste, bis kein Wasser mehr da ist."

Das alles ist bekannt. Spätestens seit Ausbruch der Finanzkrise wissen wir, dass wir an diesen Stellschrauben drehen müssen, damit sich was ändert. Aber es passiert nicht. Atemlos hecheln die Regierungen von Krisengipfel zu Krisengipfel, spannen immer größere Rettungsschirme auf und retten mit Feuerwehreinsätzen, was zu retten ist. Aber zu grundlegenden Reformen fehlt ihnen offenbar der Wille oder die Kraft. Die Finanzindustrie konnte bisher allzu ambitionierte Regulierungsvorhaben problemlos abschmettern. Längst sind die Spekulanten wieder zur Tagesordnung übergegangen, kaum waren die Banken gerettet, wurde wieder munter gezockt. Eine freiwillige Selbstbeschränkung der Investmentbanken und Hedgefonds wird es niemals geben – auch das ist im Jahr drei der Finanzkrise deutlich geworden.

Die Regierungen haben alle Hände voll zu tun, die akute Krise zu meistern und den Euro zu retten. Beunruhigend ist vor allem, dass kein Ende in Sicht ist. Man ahnt, dass hinter der aktuellen Euro-Krise schon die nächste lauert und es wachsen die Zweifel, ob die Politik auf globaler Ebene überhaupt in der Lage ist, sich gegenüber den mächtigen Akteuren der Finanzwelt zu behaupten.

Aber uns bleibt keine Wahl: Wir müssen die Finanzmärkte energisch an die Kandare nehmen, sonst treiben sie uns auch in Zukunft von einer Krise in die nächste. Schon jetzt sind wir auf dem Weg, zur Generation Krise zu werden. Die Schreckensmeldungen aus der Finanzwelt gehören inzwischen fast zum Alltag, auf jeden gelöschten Brandherd folgte der nächste, bis kein Wasser mehr da ist. Und die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen in betroffenen Ländern wie Griechenland, Irland oder Spanien sind verheerend. Wenn wir die Finanzmärkte nicht endlich klaren und strengen Regeln unterwerfen, dann sind wir gezwungen, uns dauerhaft ihrem Diktat zu beugen. Das wäre nicht nur das Ende von Demokratie, sondern auch die Aufgabe von Sozialstaatlichkeit. Die Ellenbogen der Spekulationseliten regierten die Welt. Und das kann doch niemand wollen.

Süddeutsche Zeitung, 1. September 2011

 

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