Deutscher Gewerkschaftsbund

01.07.2019
Jetzt erst recht: für eine fortschrittliche Ausschreibungspraxis in den Kreisen und Kommunen

Vergebt! Weiter! Richtig!

 

Der FDP Wirtschaftsminister hat sich durchgesetzt: Statt einer Verbesserung hat der Landtag Schleswig-Holsteins das Vergaberecht faktisch beerdigt. Das Ergebnis: weniger Sozialstandards, weniger ökologische Richtlinien, weniger Verantwortung für internationale Arbeitsbedingungen. Und eine verpasste Chance. Denn die berechtigten Kritikpunkte am bestehenden Gesetz hätten auch sehr anders genutzt werden können: für mehr Sicherheit für die Beschäftigten und gegen Lohndumping.

Für die Kreise und Kommunen bedeutet das Gesetz, dass das Land ihnen die volle Verantwortung, aber auch eine politische Herausforderung vor die Füße gelegt hat: wie sozial, wie beschäftigtenfreundlich, wie ökologisch, wie fair soll unsere Kommune, unser Kreis sein?

Alle kommunalen Parlamente sind nun gefordert, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen.


Und da steht einiges an:

Viele Kreise und Kommunen entscheiden in nächster Zeit bspw. darüber, wie sie mit den Busfahrerinnen und Busfahrern oder mit Müllwerkern umgehen wollen. Wollen die KommunalpolitikerInnen den Beschäftigten Arbeitsplatzsicherheit und ihre bisherigen Lohnstandards absichern, oder wollen sie sie der Ungewissheit, der Angst um ihren Arbeitsplatz aussetzen? Wollen sie Standards für die Pendlerinnen und Pendler, im Schülertransport und für alle, die auf den öffentlichen Verkehr angewiesen sind? Wollen sie im Bereich der Ver- und Entsorgung Tarifstandards halten oder stärken, ökologische Vorgaben machen etc.? Wollen sie faire IT beschaffen? Dann können sie genau dieses beschließen.

Sie können die Personalübernahme verbindlich anordnen. Das heißt, dass die bisher beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unbefristet, ohne Probe- und Wartezeiten und unter Anerkennung der bisherigen Betriebszugehörigkeit im Vorunternehmen im Falle eines Betreiberwechsels nach einer Ausschreibung weiter beschäftigt werden müssen.

ÖPNV

Als weitere Standards kann eine Ausschreibung im öffentlichen Personennahverkehr fordern:

  • Begrenzung der Untervergabequote, also des Einsatzes von Subunternehmen durch den Betreiber. Laut EuGH darf der Aufgabenträger die Untervergabe verbieten oder stark einschränken,
    Ggfs. Sozialstandards auch über Tarif (siehe Beispiele Hessen, BaWü mit gesonderten Pausenregelungen/ geteilte Dienste) oder Spezialtarif (z. B. Autokraft ÜTV-G vom 26.08.2010 und Autokraft ÜTV-A vom 26.08.2010 für Altbeschäftigte) oder gesonderte bisher im Vorunternehmen geltende Betriebsvereinbarungen,
  • Regelmäßige Qualifizierungen: z. B. 1x jährlich Berufskraftfahrerqualifikation unter Übernahme der Seminargebühren und Wertung als Arbeitszeit,
  • Erwartungen an das Fahrpersonal: fahrgastfreundlich, höflich, tarifkundig, netzkundig, der deutschen Sprache mächtig, mit einheitlicher für den Kunden erkennbarer Dienstkleidung bekleidet, geschult in Deeskalationsstrategien und energiesparender Fahrweise, im Umgang mit mobilitätseingeschränkten Fahrgästen, Fahrsicherheitstraining, …
  • Fahrzeugausstattung: Niederflur, Abgasnorm, Antriebstechnik (Diesel-Hybrid, CNG, LNG, Vollelektrisch, Wasserstoff) Türanzahl, Stellflächengröße (wie viele Kinderwagen/ Rollstühle), Rollstuhlrampe, Tragfähigkeit der Rampe, Klimaanlage, Haltestellenanzeige, Fahrerarbeitsplatznorm (zu empfehlen VDV-Arbeitsplatz), Fahrersitze (Einstellmöglichkeiten, Heizung), Notruf still, Notruf laut, Kühlbox, Videoaufzeichnung, Anzahl Kameras, Totwinkelspiegel zum Schutz von Fahrradfahrern, Fahrzeughöchstalter, Ergonomie- und Sicherheitsfeatures usw.
  • Sonstige Betriebsausstattung: z. B. Werkstatt mit fachkundigem Personal, Leitstellenbetreuung während der gesamten Betriebszeit, telefonische Erreichbarkeitszeiten des Unternehmens für Kunden,
  • Vorhaltung eines Betriebshofes mit Elektranten (sorgt für Vorheizung des Fahrzeugs, verhindert Vereisung im Winter, sorgt für freie Sicht, volle Drucklufttanks und volle Batterien),
    Zusätzlicher Wagen-zu-Wagen-Funk und Kompatibilität der Funknetze mit anderen im Netz ein- und ausbrechenden Linien ggfs. anderer Unternehmen (einheitlicher Funkstandard) zur kurzfristigen Anschlussherstellung,
  • Vorzuhaltendes Kundeservicebüro, Öffnungszeiten, Verortung, Leistungen des Kundenservice und Erreichbarkeit (Telefon, Fax, Mail, …)
  • Usw. usf. alles, was den ÖPNV besser, attraktiver macht und die Fahrgastzahlen erhöht, den Umstieg vom PKW auf den ÖPNV interessanter macht …

Wir fordern alle Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker auf: zeigen Sie, dass sie bereits sind, fortschrittliches EU-Recht zu nutzen. Denn es sind - entgegen vieler Vorurteile - europäische Richtlinien und Verordnungen, die Ihnen alle Möglichkeiten an die Hand geben, sozial und ökologisch zu sein

 

Müll

Aber auch in vielen anderen Bereichen können Kommunalparlamente faire Arbeitsbedingungen direkt beeinflussen. So bspw. in der Müllentsorgung. Auch hier müssen die Landkreise nicht auf eine Neuregelung auf Landesebene warten, sondern können selbst gestalterisch tätig werden. Das zeigen Beispiele aus Dithmarschen und Nordfriesland.

Dort hatte man bei den Ausschreibungen für die Müllentsorgung strikt auf die Einhaltung von Lohn- und Umweltstandards geachtet. Bruttolöhne von 15 Euro und eine Klausel, die auch tarifliche Steigerungen ermöglicht wurden festgeschrieben und werden auch kontrolliert. Arbeitsschutz und Umweltschutz wurden ebenfalls festgeschrieben. Die Vorgabe der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung in der Abfallwirtschaft kann auch mit guten Löhnen und Arbeitsbedingungen erfüllt werden. Nimmt man jedoch den billigsten Bieter kann mit Folgekosten gerechnet werden, weil die Qualität nicht stimmt oder nachgebessert werden muss.

 

 

IT

Computer, Drucker, Smartphone, Tablet – wir alle nutzen die Geräte der Informationstechnologie und wissen kaum etwas über die Herstellungsbedingungen. Wir haben einen Blick auf die Lieferketten geworfen und ausgelotet, welche Einflussmöglichkeiten es in Richtung einer sozial- und umweltverträglichen Produktion gibt. Dabei sind sie auf die schleswig-holsteinischen Hochschulen gestoßen, die Vorreiter für die faire Beschaffung von IT-Hardware sind. Lest hier, was bereits alles möglich ist.

 

Viel Geld, das für gute Arbeit und nachhaltiges Wirtschaften eingesetzt werden könnte


Rund 14 Milliarden Euro investieren schleswig-holsteinische Gemeinden, Gemeindeverbände, Kreise und das Land in Straßen- und Schulbau, in öffentliche Dienstleistungen, wie den Nahverkehr, aber auch in die Ausstattung von Behörden und Ämtern und in vieles mehr. Bis zur Gesetzesverschlchterung mussten die öffentlichen Vergabestellen darauf achten, dass Unternehmen bestimmte Standards einhalten. Dazu gehören Internationale Abkommen wie beispielsweise Vereinbarungen gegen Kinder- und Zwangsarbeit und das Recht sich in Gewerkschaften zu organisieren (ILO Kernarbeitsnormen). Dazu gehören aber auch Kriterien des Umweltschutzes und der Energieeffizienz. Auch das Gebot der Tariftreue, der Gleichbehandlung von Beschäftigten im Betrieb – das auf die Gleichstellung von Leiharbeitnehmer*innen zielt – ist Bestandteil der Kriterien. Gesetzlich klargestellt war zudem, dass diejenigen Unternehmen bevorzugt werden, die ausbilden und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf fördern.

Keine Frage: das alte Gesetz hätte auch einiges an Verbesserungen vertragen. Denn Vieles war nur als "Kann-Bestimmung" formuliert und damit nicht eindeutig vorgeschrieben. Auch Kontrollen, ob die Vorgaben überhaupt eingehalten werden, haben nicht stattgefunden. Unternehmen, die sich an die Regeln gehalten haben, bemängelten dies zurecht. Wir haben überhaupt nichts dagegen, an der Seite der Unternehmen hier etwas zu verändern.

Denn es ist richtig: Wir brauchen keine Gesetze, deren Einhaltung nicht kontrolliert wird und gegen die sanktionsfrei verstoßen werden darf. Dieses Gesetz aber brauchen wir, denn es ist das einzige Instrument, mit dem faire Arbeitsbedingungen politisch direkt beeinflusst werden können. Und selbstverständlich brauchen wir wirksame Kontrollen, dass Vorgaben auch eingehalten werden.

Lest auch die Stellungnahmen der Verbände im Rahmen der schriftlichen Anhörung im Wirtschaftsausschuss:

 

Im Juni bekamen die neuen Kreistagsabgeordneten in Steinburg, Dithmarschen, Nordfriesland, Schleswig-Flensburg und die Stadträte von Flensburg Post von den DGB Kreis- und Stadtverbänden - hier findet ihr ein Muster!

Und noch heute gilt: Wir kommen für jede Diskussion fast überall hin!


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